Munchmuseet, MM K 2442

MM K 2442, Munchmuseet. Datert 31.12.1935. Brev fra Eberhard Grisebach.

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z.Z. Davos-Platz, 31.Dezember 1935
Villa Fontana
sonst: Susenbergstrasse 194, Zürich 6



    Lieber Herr Munch,


    Sehr oft schon bin ich in Gedanken zu Ihnen nach Skoyen
gefahren, habe mir Ihre Bilder vergegenwärtigt und bin dann zu
Ihnen in die wohnliche, saubere Küche gesessen, wo Jogurt und
Obst immer für Sie bereit standen. Weshalb meine Zwiesprache mit
Ihnen sich nie zu einem Brief verdichtete, weiss ich selbst kaum
zu sagen. Die Gegenwart stellte im Amt, in der Familie, und nicht
zum wenigsten in der Politik so viele Geduldsansprüche, dass das
romantische Briefschreiben überhaupt zu kurz kam. Man weiss ja
auch gar nicht mehr, ob die eigenen Gedanken heute noch jenseits
der Grenzpfähle überhaupt Interesse finden. Heute möchte ich aber
nun doch endlich vor Jahresschluss einmal brieflich bei Ihnen vor-
sprechen und mich zunächst erkundigen, wie es Ihnen eigentlich
geht, was Ihre Augen machen und Ihre Malerei, was Sie zu den Ver-
wandlungen Deutschlands sagen und zu dem so kriegerisch geworde-
nen Europa.

    Mehr als 3 Jahre ist es her, dass ich bei Ihnen in Oslo war.
Diese Reise nach Norden erscheint mir oft wie ein schöner Traum.
Die Gelehrten, die ich damals in Kopenhagen versammelt sah, sind
inzwischen über alle Welt verstreut worden. Kein Gelehrter, vor
allem kein Jude, steht mehr auf seinem Platz. Der alte Hinden-
burg
, der damals noch Deutschland würdignund vernüftig repräsen-
tierte und Gnade walten liess, ist längst einbalsamiert und
durch einen Jugendführer ersetzt, der mit irrationalen Rezepten
das Abenteuer einer mythischen Politik wagt. Man kann nur wün-
schen, dass es ein Anfang sei und nicht ein Ende. Während die
europäische Politik und Geistigkeit durchaus in Unruhe geraten
ist und die Politiker in allen Ländern eine Ren\g/eneration einzu-

 

      

leiten versuchen, blieb die Schweiz ein ruhiger, scheinbar keiner
Reformation bedürftiger Boden, auf dem sich über die Zukunft Eu-
ropas einigermassen behaglich nachdenken lässt. In Genf tagt noch
immer der Völkerbund. Seine Ideen sind zwar längst entwertet,aber
die Plattform besteht weiter, wo man sich die Enttäuschungen, die
man miteinander gemacht, gegenseitig mitteilen kann. Trotzdem
glaube ich, dass es einmal die Vereinigten Staaten von Europa ge-
ben muss und dass dann die Schweiz die Vertreter aller Länder bei
sich beherbergen wird. Wer aber wird diesen europäischen Bund ein-
mal leiten? Es kann nur dasjenige Volk sein, das bis dahin Gerech-
tigkeit zu üben gelernt hat. Bisher sind diese Hüter der Gerech-
tigkeit in Europa noch nicht zu erkennen, weder in England noch
in Frankreich, noch gar in Deutschland. Wir Philosophen haben den
Preis nicht zu verteilen, sondern nur für die Wahrheit als Gerech-
tigkeit zu streiten und dafür zu arbeiten, dass sie wirksam wer-
de. Das war nun mein Ziel in den letzten Jahren. Ich hoffe, es
glückt mir nun bald, meine Gedanken darüber in einem grösseren
Buche zusammenzufassen. Bisher liegen aus den letzten Jahren nur
eine Reihe kleinerer Gelegenheitsarbeiten vor, die neben den amt-
lichen Verplichtungen und vielseitigen Lehrstunden mühsam ent-
standen sind. Wenn Sie Luf\s/t haben, diese Versuche zu durchblättern,
und so von meinem Gange zu hören, so sende ich Ihnen gern von Zü-
rich aus einige Proben.

    Mit meiner Familie verbringe ich wieder einmal die Weihnachts-
ferien im winterlichen Davos. Der älteste Sohn \Lothar/ machte inzwischen
seinen Doktor in der Physik und arbeitet am Physikalischen Insti-
tut
in Marburg, nachdem er einige Monate wegen schwerer Krankheit
aussetzen musste. Er zeichnet und malt noch immer zu meiner Freu-
de und stellt seinen Zeichenstift gern in den Dienst der Familie.
Oft mahnte er mich, Sie doch nach einem Photo der Portaits zu
fragen, die Sie damals in Skoyen gemalt haben. Sollten Sie die
Bilder nicht längst vernichtet haben, wo würde es auch meine
Frau freuen, wenigstans davon eine Abbildung sehen zu dürfen.

    Die älteste Tochter \Ebba/ hat ihre Lehrzeit im Schneiderhandwerk

 

      
    –2–

gut beendet, geht jetzt für kurze Zeit zur Erweiterung ihrer
Studieh\h/ nach Paris, um im Frühjahr in Zürich hoffentlich die
Leitung eines Schneiderateliers zu übernehmen. Die zweite Toch-
ter \Gabrielle/ lernt Kinderpflege in der Jenaer Klinik und hat Freude an ih-
rer mütterlichen Arbeit. Der zweite Bub, Joachim, besucht in Zü-
rich die Kantonsschule und stellt die Geduld seiner Vaters oft auf
harte Proben, ist aber wohl das klügste unserer Kinder. Der jüng-
ste Luzius blieb bei der Grossmutter in Davos, besucht hier das
deutsche Gymnasium, sammelt eifrig knabenhaft Briefmarken und
treibt Sport in Eis und Schnee. Sein einzig bemerkbares Talent
ist vorläufig der Humor und der Leichtsinn.

    Um die grosse Familie auch in Zürich beherbergen zu können,
haben wir im letzten Jahr ein kleines Haus auf dem Ihnen bekann-
ten Zürichberg übernommen, das dicht am Walde liegt, und \der/ mir die
schönsten peripathetischen Gänge erlaubt. Von meinem kleinen
Arbeitszimmer im Dach habe ich einen weiten Blick auf Zürich, den
See und die fernen Berge. Im Garten pflanzen wir Blumen und Ge-
j\m/üse. Im rosa Wohnzimmer hängen Ihre Bilder, die mich täglich zu
Ihnen ins atelier führen. Im Kunsthaus hat Herr Dr. Wartmann zur
Zeit eine schöne Courbet-Ausstellung zusammengebracht, die wenig
französisch, aber sehr deutsch wirkt. Hans Thoma hat wohl viel
von diesem Romantiker gelernt.

    Im Sommer plane ich einmal wieder eine Vorlesung über die
Probleme der Kunst, von der ich mich in diesen Jahren fast gänz-
lich fernhielt. Es ist seltsam, es fällt mir immer noch am
schwersten, über Kunst zu philosophieren, sie ist wohl selbst
schon die einzig überzeugende Welttheorie.

    Nun würde es mich interessieren zu hören, was Sie zur Zeit
unter dem Pinsel haben, ob Sie an den grossen Weltanschauungsgemäl-
den weiterarbeiten, welche Freude Ihre Kunst in den letzten Jah-
ren gewann, wie es in Oslo und seiner Universität aussieht.

 

      

    Zum neuen Jahre wünsche ich Ihnen das beste und schönste,
das Sie sich selbst ersehnen: Gesundheit und Arbeitskraft. Bis
zum 10.1.36 mache ich in Davos sogenannte Ferien und bereite im
Kopf Kollegia für die zweite Hälfte des Wintersemesters vor. Las-
sen Sie wieder einmal von sich hören und zürnen \Sie/ dem schweigsamen
Philosophen nicht.
  Mit den besten Wünschen
    Ihr
E. Grisebach.